Organisation des jeunes travailleurs révolutionnaires Aktivismus als Ausdruck der Entfremdung

Sachliteratur

Als Beilage zur 8. Ausgabe des Magazins „Kunst, Spektakel, Revolution“ wurde ein spannender Text von 1972 mitgegeben.

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Buchcover. Foto: Hutchinson, Thomas (PD)

18. Januar 2024
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„Der Aktivismus als höchstes Stadium der Entfremdung“ wurde von einer französischen Kleingruppe – mit dem selbstironischen Namen Organisation des jeunes travailleurs révolutionnaires – geschrieben, welche darin insbesondere über die Praktiken und Selbstverständnisse der zahlreichen K-Grüppchen reflektiert, denen sie selbst angehörten.

Es handelt sich um eine grundlegende Ablehnung mit dem Avantgardismus, der Selbstbezüglichkeit, der Realitätsverkennung und dem Arbeiterfetischismus einer vor allem studentisch geprägten linken Szene, die in ihrer Zersplitterung eine Verfallserscheinung der gleichermassen dynamischen wie diffusen 68er-Bewegung darstellt. Der Beitrag wurde bereits 2013 auf kommunisierung.net veröffentlicht und nun aber mit einem Vorwort versehen. Dass die berechtigte rätekommunistische und situationstisch beeinflusste Kritik am Aktivismus allerdings selbst einem künstlerischen Avantgardismus entspricht, auch wenn man noch so sehr das autonome Handeln der Arbeiter*innen beschwört, zeigt allerdings die Selbsttäuschung, welche in jenen intellektuellen Kreisen üblich ist.

Mit dem Wiedererstarken einiger autoritären K-Gruppen mit ihren hängen geblieben Theoriefragmenten in den letzten Jahren, ist die Kritik am Aktivismus mehr als notwendig. Ebenso ist sie an Bewegungslinke und ihrem teilweise professionalisieren Bewegungsmanagement zu richten. Sie kann sich auch an autonomere „aktivistische“ Zusammenhänge abarbeiten, welche zumindest teilweise zugeben, dass sie mit ihrem Aktionismus ihre Entfremdung bearbeiten – was wohl im Sinne des Textes nicht einmal die schlechteste Motivation wäre.

Welche Kritikpunkte werden nun aber am Aktivismus aufgemacht? Dankenswerterweise sind sie im Text recht klar in einzelne Abschnitte gegliedert:

1) Aktivistische Tätigkeiten und damit verbundene Rollen werden revolutionären Aktivitäten entgegengesetzt. Dies geschieht, weil beide häufig verwechselt werden. Dabei untergraben Aktivist*innen regelrecht das autonome Handeln von Personen, die sich spontan anders vergesellschaften und aus bestehenden Bahnen ausbrechen wollen. So müsse „der Kampf gegen die Tendenz zum Aktivismus innerhalb der revolutionären Organisation selbst geführt werden […]. Das liegt wahrscheinlich daran, dass diese Organisationen zumindest anfangs zu einem nicht unerheblichn Teil aus ‚reuigen' ehemaligen Aktivisten bestehen könnten, aber auch daran, dass der Aktivismus auf der Entfremdung eines jeden von uns beruht. Entfremdung lässt sich nicht wegzaubern, und Aktivismus ist die besondere Falle, die die alte Welt für Revolutionäre bereithält.“

2) Als zweites wird der Aktivismus in einer pseudo-psychologischen Sprache als „Masochismus“ charakterisiert. Damit gemeint ist unter anderem die Reproduktion von Hierarchien, das metaphysische Glücksstreben durch die eigene Opferbereitschaft und die quasi religiösen Kategorien in denen Aktivist*innen denken und ihre Rituale durchführen.

3) Drittens unterstellen die Autoren den Aktivist*innen einen Aufstiegswunsch. Und sicherlich gab es immer wieder Personen, die ihn als Sprungbrett für ihre Karriere nutzten, sei es durch das erworbene Wissen, spezielle Fähigkeiten oder die Formung eines spezifischen Charakters. Vor allem bedeute Aktivismus in diesem Zusammenhang sich für möglichst andere als die eigenen Belange einzusetzen, um also das eigene alltägliche Leben nicht ändern zu müssen.

4) Kritisiert wird ferner, dass mit dem Politikmachen Lohnarbeit imitiert wird. Dieses Verhältnis zur eigenen Tätigkeit führt zu ihrer quantitativen Bewertung und dem sich Fügen in einen entfremdenden Rhythmus. Daraus folgen auch Forderungen nach einer Verkürzung der Arbeitszeit, die sich mit progressiven Kapitalfraktionen durcaus verbinden lassen. Stattdessen gälte es aber, mit der Lohnarbeit als Zwangsverhältnis selbst zu brechen.

5) Der fünfte Punkt ist mit der erheiternden Überschrift „Der Versammlungswahn“ überschrieben. Endlose Plena und Grundsatzdiskussionen stehen dabei in einem seltsamen Kontrast zum Appell daran, konkrete Dinge zu verändern. Damit verbunden ist auch die Logik des Zählens der eigenen Leute auf Demos, als Mitglieder usw.. Entweder werde die Aktion oder die Organisation fetischisiert.

6) Sechstens kritisieren die Autoren, die Bürokratie, welche auch noch die unbedeutendsten aktivistischen Splittergruppen entwickeln – was natürlich mit dem Irrglauben verbunden ist, sie selbst könnten effektiv proletarische Kämpfe anführen.

7) Unter dem Schlagwort „Objektivität und Subjektivität“ werden im Text die merkwürdigen Analysen kritisiert, welche die K-Gruppen als quasi-religiöse Sekten hervorbringen. Dahingehend geht es um sich verslebtständige Theoriegebäude, die in sich logisch sein mögen – solange sie nicht mit der Wirklichkeit konfrontiert werden. Auch „der“ Anarchismus ist davor nicht gefeit.

8) „Aktivistische Organisationen verselbständigen sich gegenüber den Massen, die sie zu vertreten vorgeben. […] Das Proletariat wird zum Ding, auf dem die rote Rose, die revolutionäre Partei gedeihen kann. […] Die Verselbständigung der Ziele der aktivistischen Organisationen muss verschleiert werden. Dazu dient die Ideologie.“ Am deutlichsten zeigte sich dies bei der Instrumentalisierung der Räte in der russischen Revolution ab 1921 durch den bolschewistischen Staat. Verschleiert wird damit auch der Staatskapitalismus in realsozialistischen Ländern. Interessanterweise folgt abschliessend ein Plädoyer für eine autonome Rätebewegung – welches seinerseits ein ideologischer Bezugspunkt und eine affektive Projektion darstellt.

Insgesamt finde ich den Text ziemlich interessant und verstehe, warum er abgedruckt wurde. Er hat mir auch viele Anregungen zur Infragestellung der eigenen Tätigkeiten und ihrer Motivationen geben. Ich finde das Thema dockt gut an meine Überlegungen zu Verfallsformen sozial-revolutionärer (Anti-)Politik an. Die Herausgebenden beziehen damit meiner Ansicht einen anti-politischen Standpunkt Intellektueller und ästhetischer Dissidenz. Wenngleich ich dies sehr sympathisch finde, sehe ich darin jedoch keine wirkliche Lösung für das Aktivismus-Problem. Denn wo soll die Selbstermächtigung und Autonomie der Arbeiter*innen herkommen, wenn nicht Bildung, Kontakte, Organisationserfahrungen und Aktionsformen weitergegeben und geformt werden? Da diese sehr bestimmte Voraussetzungen haben, wäre es an allen, die über derartige Privilegien, Ressourcen, Erfahrungen und Motivationen haben, diese weiterzugeben. Geschieht dies nicht, verkommt diese Szene ihrerseits zu einem selbstbezüglichen quasi-religiösen Projekt, das seinen eigenen Fetischen nachjagt.

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Organisation des jeunes travailleurs révolutionnaires: Aktivismus als Ausdruck der Entfremdung